Elmar L. Kuhn

Landleben am Vorabend des Bauernkriegs


Landleben am Vorabend des Bauernkriegs - Das Beispiel Taldorf

„Im Jahre 1524 nach der Fleischwerdung des Herrn … begannen Aufruhr und Empörung des Bauernkrieges in ganz Deutschland, so wie ihn die Welt noch nicht erlebt hatte.“1 So leitete Jacob Murer, Abt des Prämonstratenserklosters Weißenau 1523-1533,2 in seiner lateinischen Klosterchronik den Bericht über den Bauernkrieg ein. Die Erinnerung an den Schrecken führte dem Abt noch die Feder und so kam er zu einer dramatisierenden Einschätzung, wie sie gerade einem Geistlichen nicht hätte unterlaufen dürfen. Aber auch spätere Chronisten sparten nicht mit Superlativen, Leopold von Ranke bezeichnet den Bauernkrieg als das „größte Naturereignis des deutschen Staates“, Friedrich Engels als den „großartigsten Revolutionsversuch des deutschen Volkes“.3 Das Programm des Bauernkriegs mit den Zwölf Artikeln, der Bundes- und Landesordnung haben die Vertreter der oberschwäbischen Bauern im März 1525 in Memmingen formuliert, viele Drucke verbreiteten es im Reich. Nach Peter Blickle gibt es „vor der Französischen Revolution von 1789 keinen Aufstand in der europäischen Geschichte … von vergleichbarer Radikalität der gesellschaftlichen und politischen Neuorientierung.“4 Der Abt Jacob Murer von Weißenau hat nicht nur mit seiner Klosterchronik, sondern vor allem mit seiner Chronik des Bauernkriegs aus seinem Erlebnishorizont dafür gesorgt, dass wir gerade über die Vorgänge in seinem Klostergebiet und damit auch um Taldorf relativ gut informiert sind. Es ist eine einzigartige Quelle, denn im Wortsinne anschaulich schildert Murer die Ereignisse nicht nur im Text, sondern auch in Zeichnungen auf elf Doppelseiten seiner Chronik, es sind abgesehen von den stilisierten Holzschnitten die einzigen zeitgenössischen bildlichen Darstellungen des Bauernkriegs.

Am 21. Februar hatten sich erstmals Bauern des nördlichen Bodenseegebiets in Rappertsweiler oberhalb des Argentals versammelt. Zwei Tage später forderten sie die Bauern der Umgegend zum Anschluss auf. Unsicher wie sie sich verhalten sollten, fragten Untertanen des Klosters Weißenau den Abt zunächst um Rat. Sie beteuerten, sie hätten eigentlich keine Beschwerden gegen den Abt, wohl aber gegen den Landvogt. Der Abt mahnte sie zur Treue, „aber ihr Sinn stand zu den Bauern“ und so schlossen sich auch die Weißenauer Bauern dem Aufstand an.5

Das unterschiedliche Urteil der Bauern über die Herrschaftspraxis des Klosters und der sog. Landvogtei lässt schon vermuten, dass die Herrschaftsverhältnisse in diesem Raum kompliziert waren. „In kaum einem anderen Gebiet des Deutschen Reiches waren die Herrschaftsverhältnisse so unübersichtlich, die obrigkeitlichen Rechte so aufgesplittert wie in dem Bereich der Landvogtei Schwaben um Ravensburg.“6 So versuche ich zunächst die Rahmenbedingungen bäuerlichen Lebens und deren Veränderungen im Raum der späteren Gemeinde Taldorf zu rekonstruieren. Es gab noch nicht „den“ Staat, der das Herrschaftsmonopol innehatte. Herrschaft zerfiel in Grund-, Leib-, Gerichts- und Zehntherrschaft und Kirchenpatronat. Vieles war noch im Fluss, die verschiedenen Herrschaften konkurrierten miteinander im Versuch, möglichst viele Herrschaftsrechte in ihrer Hand vereinigten, um jeweils geschlossene Herrschaftsbezirke durchzusetzen, ein Prozess an dessen Ende die vielen territorialen Klein(st)staaten Oberschwaben standen. Für das 15. und frühe 16. Jahrhundert erlaubt die zersplitterte Quellenlage noch kein klares Bild, erst im 17. Jahrhundert ermöglichen Steuerbücher einen flächendeckenden Überblick.

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