Elmar L. Kuhn

Friedrichshafen als Kurort vor dem 1. Weltkrieg


Ein Luftschiff über dem König vor dem Alpenpanorama. Friedrichshafen als Kurort und Fremdenstadt vor dem Ersten Weltkrieg.

Von "Mazedonien" über "Interlaken" und "Nizza" zur "Industriestadt am Bodensee"

Der neueste Baedeker stellt Friedrichshafen als "Messe- und Zeppelinstadt am Bodensee ... die bedeutendste Industriestadt am Bodensee" vor (Baumgarten 1990). Die erste Beschreibung des Bodensees von 1783 setzte die Akzente nicht viel anders und betonte auch die wirtschaftlichen Funktionen: "Buchhorn eine kleine Reichsstadt, die eine Güterdurchfuhr und bayerische Salzniederlage hat" (Hünlin 1783). Mit der Salzniederlage hatte es zwar bald ein Ende und bis zur Industrie war es noch weit. Dafür förderte Württemberg nach der Bildung der neuen Stadt Friedrichshafen aus der alten Reichsstadt Buchhhorn und dem aufgelösten Priorat Hofen 1811 den Güterumschlag mit solchem Erfolg, daß die Landesbeschreibungen während des ganzen 19. Jh. die Stadt als "Haupt-, Speditions- und Handelsplatz für den Verkehr und Italien" bezeichnen konnten. Spät, erst 1907, zu spät, fand der Fremdenverkehr auch amtliche Erwähnung: "viel besuchter Kur- und Fremdenort" (K. Stat. Landesamt 1907).

Wenn man die Erscheinungsjahre der Bodenseeführer als Indiz nehmen darf, beginnt ein eigentlicher Fremdenverkehr am Bodensee in den 20er und 30er Jahren des 19. Jhs., tritt in den wirtschaftlich schwierigen 40er Jahren wieder zurück, um dann in den 50er Jahren verstärkte Bedeutung zu gewinnen. In der ganzen ersten Jahrhunderthälfte interessieren sich Touristen für Friedrichshafen nicht als Ziel- und Aufenthaltsort. Trotz oder gerade wegen des Beginns der Dampfschiffahrt ab 1824 wiederholen die Reiseführer stereotyp die amtliche Charakteristik als "Hauptspeditionsplatz". Die durchaus gepriesene "ungemein schöne Lage" und selbst die Wahl als "allerliebster Sommeraufenthalt" (Weber 1826) durch das württembergische Königshaus reichen in diesen Jahrzehnten nicht aus, Fremde in nennenswerter Zahl zu längerem Aufenthalt anzuziehen. Dazu ermuntern sie kaum Schilderungen der Stadt als "sehr schlecht gebaut, klein mit schmutzigen Gassen" (Söltl 1836, vgl. Riecke 1844), gar als "kleines Mazedonien" (D'Houdetot 1825), und selbst über die "Neustadt", die 1811 neu erbaute symmetrische Verbindungsstraße zwischen Buchhorn und Hofen, gehen die Meinungen auseinander, ob sie aus einer "Reihe freundlicher Häuser" (Vogt 1840) oder "elenden Häuslein" (Braun 1873) bestehe.

Was Natur, Hof, einzelne wohlwollende Beschreibungen (u.a. Schwab 1827/1840) und auch der Bau von Badeanstalten 1847 nicht bewirken konnten, ermöglichte die Eisenbahn: "Seit Eröffnung der Eisenbahnfahrten ... ist man hier gewöhnt, täglich eine Menge Gäste ankommen zu sehen, welche teils Ausflüge an den reizenden Gestaden unseres Sees und in die Schweiz machen, teils sich damit begnügen, von hier aus die herrliche Aussicht auf die Gebirge unserer Nachbarländer zu genießen" (SK 09.08.1849). "Es sind erst wenige Jahre her, daß die Südbahn uns den Bodensee leicht zugänglich gemacht hat, und schon wimmelt es während der günstigen Jahreszeit in dieser, sonst von den Reisenden so vernachlässigten Gegend, von Besuchern aller Stände und Länder. Was der erhabenen Natur des Bodensees und seinen Umgebungen, selbst im Vereine mit der Muse unseres unsterblichen Schwab ... nicht möglich war, sich diejenige gerechte Anerkennung zu verschaffen, die ihm vor so manchem viel besuchten Punkte gebührt, das hat in kurzer Zeit der Dampf bewirkt.Friedrichshafen ist der Hauptstapelplatz der Naturgenuß oder Erholung suchenden Reisenden eines großen Teiles von Süddeutschland geworden. 11 (SK 17.05.1853, vgl. Schwab/Klüpfel 1851).

Die Friedrichshafener nutzten die Situation gleich: „Es strömten in den Jahren 1850 bis 1853 zahllose Fremde nach Friedrichshafen und die Wohnungen waren sehr begehrt und stiegen im Preise ... Friedrichshafen kam in den Ruf der Teurung, litt dadurch an Zuspruch von Touristen“ (Schnars 1857). Doch die Konjunktur hielt zunächst an und die Hoffnungen wurden rasch unbescheiden: „Bald könnte Friedrichshafen ein zweites Interlaken werden“ (Schönhuth 1851/1863, Faber 1873), freilich ein billigeres, aber da dämpften andere Reiseschriftsteller doch die Erwartungen der Reisenden: „Der Vergleich hinkt“ (Schnars 1857).

Bis in die 70er Jahre kam die „Schwäbische Kronik“ in ihren regelmäßigen Berichten über die Friedrichshafener Sommersaison kaum ohne die Worte „Aufschwung“ und „Zunahme“ aus. Doch 1878, als die „rasch zunehmende Frequenz, die gegenwärtige Überfüllung der meisten schon vorhandenen und das Auftauchen immer neuer Etablissements“ gepriesen wurde (SK 14.08.1878), war der Wendepunkt schon gekommen. Die Übernachtungszahlen der 80er Jahre fielen hinter die von 1850 zurück. 1897 wurde beklagt, daß „die Zahl der Kurgäste seit 25 Jahren sich vermindert hat“ und „die größeren ... vornehmeren Hotels bis auf eines verschwunden sind“, auch wenn „die Zahl der Durchreisenden schwerlich abgenommen habe“ (SK 16.06.1897). Freilich war von diesem Rückgang nicht nur Friedrichshafen betroffen, der Bodensee insgesamt war als Reiseziel aus der Mode gekommen. Selbst auf dem Buchmarkt hatte das Auswirkungen. Waren in den 70er Jahren noch eine Reihe von Reiseführern über den See erschienen, so ist vorläufig für die Jahre zwischen 1881 und 1900 keine einzige Neuerscheinung nachweisbar. Doch damit war auch schon der Endpunkt dieser wohl mit der allgemeinen wirtschaftlichen Lage Ende des 19. Jhs. zusammenhängenden Depression erreicht. Schon 1898 fing Friedrichshafen wieder an, "auch für größere Massen ein für länger andauernden Sommeraufenthalt erstrebenswertes Reiseziel zu werden" und "noch nie war der Verkehr des durchreisenden Publikums ein so ausgedehnter" (SK 30.08.1898). Und nach 1900 war ohnehin die "Reklame, die Zeppelin für den Bodensee" und insbesondere Friedrichshafen machte, "einfach riesenhaft" (SK 18.07.1908). "Tausende jedenfalls, Zehntausende, die ihren Plan für die obligate Sommerreise ins Gebirge machten, begannen nun im Kursbuch und auf der Karte sich umzusehen, wie man wohl bequem seinen Weg über den Bodensee, am liebsten über Friedrichshafen, nehmen könnte" (Eckener 1910). 1912 hieß es, "Friedrichshafen hat in den letzten 6 Jahren Zeiten großen Fremdenverkehrs erlebt und einen großen Namen gewonnnen" (SK 22.08.1912). Aber nicht nur die Fremdenzahlen stiegen in diesen Jahren, die Stadt selbst erlebte einen beispiellosen Aufschwung. Die Einwohnerzahl verdoppelte sich von 1895 bis 1910 auf 7.000, bzw. von 1905 bis zum Ersten Weltkrieg auf 11.000. Der herrschenden "Kalifornien-Stimmung" scheint die Eigenwerbung als "Schwäbisches Nizza" (BuRh 1905, 20 und Schobinger 1905, aber Wais 1913) kaum zu entsprechen. Daß zu Nizza wie Interlaken einiges fehlte, beklagten auch unzufriedene Bürger beim Stadtschultheißenwahlkampf von 1907: "Wir müssen danach streben, das alte Renomée Friedrichshafens als Kur- und Fremdenstadt wiederzugewinnen" (Flugblatt in: Kuhn 1984, S. 378).

Im Krieg konnte Friedrichshafen mit wichtigen "Annehmlichkeiten" aufwarten, z.B. einer relativ guten Versorgung. "Reger Fremdenverkehr herrscht ... Durch die erschwerte Ausreise nach Österreich und der Schweiz haben sich die Sommerfrischler ... am deutschen Ufer behaglich niedergelassen. Die Hotels sind sämtlich gut besetzt ... und der Ausflugsverkehr mit Schiff und Bahn erinnert kaum daran, daß wir uns mitten im fürchterlichsten aller Kriege befinden" (Sb. 14.08.1916). Mit der Frequenz stieg der Haß der Einheimischen: "Der Fremdenverkehr am Bodensee ist heuer größer als je. Auf der gleichen Höhe bewegt sich aber auch die Abneigung und mitunter sogar der Haß gegen den Fremdenverkehr. Die Ursache dieser Erscheinung ist darin zu suchen, daß die Fremden um jeden Preis und in der rücksichtslosesten Weise Lebensmittel hamstern." (Sb. 21.06.1918). Nach Krieg und Inflation gab es den begüterten Mittelstand nicht mehr, der zur Zeit der Monarchie das Gros der Gäste gestellt hatte. In Friedrichshafen begann wieder die Diskussion, warum es als Fremdenverkehrsort so wenig attraktiv sei (Sb. Juni/Juli 1927). Gleichzeitig titulierten die Führer die Stadt wieder als "Luftkur- und Badeort von wachsender Bedeutung" (Grieben 1936, ähnlich Ströhmfeld 1924).

Fremdenverkehr in Friedrichshafen also von stets "wachsender Bedeutung" und Friedrichshafen doch nie ein richtiger Kurort? Seit dem Ersten Weltkrieg ging die Entwicklung in andere Richtung: "in Tat und Technik heimliche Hauptstadt des Bodensees" (Finckh, 1928) oder gar in die "Reihe der Industriestädte von Weltruf" (Adress-Buch 1929). Aber vorher, von der Mitte des 19. Jhs. bis zum Ersten Weltkrieg?

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