Elmar L. Kuhn

Kulturamt Bodenseekreis 1979-2009


Heimatkunde als Heimat-Bedingung - Inspektion einer Baustelle.

Heimat gilt nicht mehr als antiquierter Begriff. Zu einer glückenden Existenz bedarf der Mensch einer Verortung, eines Ortes, eines Raumes, mit dem er sich identifiziert, der den Rahmen für seine personale Identität abgibt. Solcher Orts- und Raumbezug mag wechseln, mag sich nach Räumen verschiedener Größe staffeln. In der Kindheit entsteht in der Nahwelt von Geborgenheit die Vorstellung von Heimat, später erfährt man, was zur wirklichen Beheimatung fehlt. Martin Walser fordert: „Eine entwickelte Gesellschaft muß den Staat zur Heimat für alle ausbilden. Dazu müssen alle an diesem Staat beteiligt sein. Und zwar, ohne Umschweife, als Besitzende“1, es wäre schon gut, als Mitbestimmende. Angesichts solcher Defizite ist für Ernst Bloch Heimat „etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war“.2Nach Martin Heidegger entfremden sich die Menschen heute selbst der Heimat, sind „auf der Flucht ins Unheimische“. Aber gab es denn je „jenes ruhige Wohnen des Menschen zwischen Erde und Himmel“ für eine Mehrheit, „bereit dem Anspruch des höchsten Himmels und aufgehoben im Schutz der tragenden Erde“?3Manfred Bosch erkennt in historischen Autobiographien unserer Region „Heimat […] als bloßes Defizit“, als „Vokabel, mit der verhindert wurde, was der Begriff insgeheim versprach“.4Heimat bleibt Sehnsucht, Anspruch und Aufgabe.

Beheimatung als Ziel, als Schaffung nachhaltig menschenwürdiger Existenz bedarf der Kultur zur Zielbestimmung.5Das Streben nach Beheimatung wird sich meist auf den Nahraum richten, im Wissen, wie sehr er nur als Teil weiträumiger, weltweiter Prozesse verstanden werden kann. Kenntnisse motivieren zu Engagement, Engagement und Identifikation bedürfen der Kenntnisse, der Heimatkunde als Wegkarte zur Beheimatung, Heimatkunde als Heimat-Bedingung. Diese Kenntnisse können einen Bildungshorizont abstecken, aus dem heraus der Weg in die Zukunft umfassend verstandener Kultur bestimmt werden kann. Solche Bildung muss historisch gesättigt sein, denn „seine eigene Geschichte gewinnt nur, wer mit den Vorangegangenen redet und mit den Nachkommenden rechnet.“6Wenn wir mit „den Vorangegangenen“ reden, nehmen wir all ihre Erfahrungen mit der Realgeschichte mitsamt den begleitenden künstlerischen und geistigen Produktionen auf, in denen sich diese Realgeschichte spiegelt und reflektiert. Kaum mehr kann ein Kulturamt tun, um Beheimatung zu fördern, als Angebote zur Heimatkunde als Heimat-Bedingung machen. Was hat das Kulturamt Bodenseekreis in den vergangenen 30 Jahren konkret getan, um die Erfahrungen der Vorangegangenen zu bewahren, zu erschließen und zugänglich zu machen?

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