Mai 2025
Sich und die anderen - sein lassen. Dazu braucht man … auch eine Art von kulturellem Immunschutz. Beim Körperlichen wissen wir, dass wir Immunschutz brauchen, dass wir nicht alles reinlassen dürfen. Sonst kollabiert unser Körpersystem. Das gilt auch kulturell. Auch da muss man aussortieren, um das Ganze am Leben zu erhalten. Man muss ignorieren können. Darin war immer Goethe mein großes Vorbild, mit seinem unglaublichen Selbstbewusstsein konnte er sagen: Das kann ich für mein Leben nicht gebrauchen, das bleibt draußen. Und trotzdem oder gerade deshalb entsteht eine ungeheuer reiche, geräumige Welt. … Nein, wir sollen etwas sein, aber das müssen wir durch kluge Bewirtschaftung auch unserer eigenen Außengrenzen hinbekommen. Und dies durchaus auch im handfest politischen Sinne. … Es lohnt sich, den Untergang des Römischen Reiches in der Folge der Germanenstürme nochmals zu studieren. …
(Bücher über Friedrich Schiller, die Romantik, Johann Wolfgang von Goethe und schließlich auch über Friedrich Hölderlin)
… die(se) Bücher sind für mich ein einziges Buch. Und zwar ein großes Buch über das goldene Zeitalter der deutschen Kultur. Einer Kultur, aus der sich ein Wärmestrom ergießt, von dem ich mich gerne tragen lasse, und zwar nicht nur um Distanz zur Gegenwart zu bekommen, sondern um Zuversicht und Kraft daraus zu schöpfen – auch für die Gegenwart. Meine emotionale Verfassung war selten so gut wie in dieser Zeit, in der ich die genannten Bücher geschrieben habe. Das Leben ist ja relativ kurz. Deswegen tun wir gut daran, uns geistlig längere Zeit dort aufzuhalten, wo wir dem Gelungenen nahe sind und daraus Kraft und Zuversicht beziehen können. Man begreift dann auch besser, was einem eigentlich am Herzen liegt. Die Schiller-Biographie zum Beispiel ist ein Buch über Freiheit, Freiheit in einem grandiosen, alle Lebensbereiche ergreifenden und verwandelnden Sinne, und die Goethe-Biographie ist ein Buch über die Lebenskunst, über die Gestaltungslust, deren Gegenstand das eigene Leben ist. Bei Goethe kann man lernen, wie man welthaltig werden und trotzdem zentriert bleiben kann.
Cato 2025, 2, S. 65f.