Elmar L. Kuhn

Der schwäbische Adel im "Prozess der Zivilisation"


Zeichnung in Heinrich Wittenwiler: Der Ring, um 1410.Zeichnung in Heinrich Wittenwiler: Der Ring, um 1410.

Sexualität

„Von disen hendeln were vil zu schreiben, aber die wahrhait mag das liecht nit leiden“.14 Ganz im Gegenteil weiß der Chronist von den sexuellen Praktiken seiner Standesgenossen sehr viel zu schreiben und kann sich gar nicht genug tun, immer neue Geschichten zu erzählen. Er nennt die Dinge beim Namen, wie man es erst neuerdings wieder gewohnt ist.15 Außereheliche Beziehungen der adeligen Männer scheinen fast der Normalfall gewesen zu sein, nur wenig verschämt meist mit „courtisanen“, aber auch heimlicher mit Frauen und Töchter der Standesgenossen. Manche „hoche frawen von eim namhaftigen geschlecht“ waren als „groß huren“ bekannt16 und mancher Frauenheld war stolz auf seinen Ruf, anderen „grosen hannsen, […] aier in die nester gelegt“ zu haben.17 Solche Helden schwärmten, „ein weiblicher leib, der aim gerecht und angenem, eins ganzen landts wert und mit kainem gelt oder guet genug megte geschetzt oder bezallt werden.“18 Als besonders „verhurt“ galten die gräflichen Brüder Christoph und Felix von Werdenberg, die sich eine Konkubine teilten.19 Auch von Gruppensex und Sexorgien berichtet der Chronist.20 Manchen Männern wurde besondere Potenz nachgesagt.21 Zu viel Sex konnte auch gefährlich werden, bei so manchem Todesfall sah man den Grund in dem „vilem und zu vil überflissigem geprauch des werks der liebe“.22

Andere mussten freilich nachhelfen mit Mitteln aus der Apotheke, aber „buelen uß der apoteka selten mit früchten beschehe.“23 Das konnte im Wortsinne in die Hose gehen, wenn das Mittel mit einem Laxativ verwechselt wurde.24 Grund für die Impotenz konnte auch die Verzauberung einer verlassenen Liebhaberin sein, der nur mit einem Gegenzauber begegnet werden konnte.25

„Jungfrauen sind eine seltene Ware“, kommentiert der Herausgeber die vielen Fälle, in denen die adeligen Damen „wie ain beschorne saw“ in die Ehe gingen.26 Einige Ärzte waren dafür bekannt, den Schaden wieder reparieren zu können.27 Manche Ehefrau, die „ir geuchle daheim […] nur für iren gauggenschnabel hielte“, 28 tröstete sich anderweitig, z. B. im Frauenkloster Kirchberg bei Sulz, wo sie sich unerkannt bei Dunkelheit mit Liebhabern treffen konnten. Das Frauenkloster Oberndorf galt gar als „des adels hurhaus“, wo nach dem Spiel mit adeligen Besuchern, die Lichter gelöscht wurden „und sich mengclich anfahen zu paren.“29 Auch weibliche Besucher der Nonnen waren vor deren Verführungen nicht sicher.30

Frauen mussten allerdings vorsichtiger sein, wurde ihr Treiben bekannt, liefen sie Gefahr, von ihren Ehemännern oder Verwandten gefangen gesetzt zu werden.31 Eine Gefahr für alle war die Syphilis, die sich damals ausbreitete. In Ravensburg wirkte ein Arzt, von dem sich viele Kranke hohen und niederen Standes Heilung von dieser Krankheit erhofften.32

Der zimmernsche Chronist billigt die Unmoral seiner Standesgenossen nicht, er fühlt auch mit den betrogenen Frauen: „Die eheweiber muesten das sehen, dem beiwonen und darzu schweigen, solt es inen gleich haben das herz abgestoßen“.33 Aber er resigniert mit dem Rat: „si non caste, tamen caute“,34 wenn schon nicht keusch, dann wenigstens vorsichtig. Eine Kurtisane zu halten, galt nun mal als Recht adeligen Standes, aber man solle wenigstens darauf achten, dass es nicht allzu öffentlich bekannt wurde. Dass zur Zeit des Chronisten das Laster der „fornicatio“ durch das Last des unmäßigen Trinkens eingedämmt wurde, tröstete ihn nicht.

Zu den Nachkommen aus un- oder außerehelichen Beziehungen, den „Bastarden“ bekannten sich die Väter durchaus, anders als später üblich. Sie führten Namen, die an die Väter erinnerten und man sicherte ihren Lebensunterhalt. Männlichen Nachkommen verschaffte man Ämter oder geistliche Pfründen, weibliche brachte man gelegentlich im Kloster unter. Allerdings duldete man nicht, dass sie sich Adelsrang anmaßten, nur in Einzelfällen verschaffte ihnen ein Vater den niederen Adel wie der letzte Graf von Montfort-Bregenz. Der Chronist hält die Bastarde für ein Übel und schildert mehre unglückliche Lebensläufe aufgrund ihres prekären Status zwischen den Ständen: „Ein baschart, thue er guet, so sei es ain abenteur oder doch ungewonlich, thue er args, so handle er nach seiner natur.“35

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