Elmar L. Kuhn

Fundstücke - Oberschwaben


März 2016

Oberschwaben.

Kern-Sätze

Reichenau, grünendes Eiland, wie bist Du vor anderen gesegnet,
Reich an Schätzen des Wissens und heiligem Sinn der Bewohner,
Reich an des Obstbaums Frucht und schwellender Traube des Weinbergs:
Immerdar blüht es auf dir und spiegelt im See sich die Lilie,
Weithin schallet dein Ruhm bis ins neblige Land der Britannen.

Ermenrich von Ellwangen, Brief an Abt Grimald, um 850

Oh du schöne Gegend
Du hast dein Sach gehabt
jetzt bist du halt zu alt
und ziemlich abgeschabt

Martin Walser nach
Konrad von Zimmern 1255

Ob aber Got die Pauren erhören will,
wer will den Willen Gottes tadlen?
Wer will in sein Gericht greyffen?
Ja, wer will seiner Mayestet wyderstreben?
Hat er die Kinder Israhel, die zu jm schreyendt, erhöret,
und auß der Hand Pharaonis erlediget,
mag er nit noch heut die Seynen erretten?
Ja, er wirts erretten! Und in ainer Kürtz!

Christoph Schappeler, Die Zwölf Artikel, 1525

Die Wissenschaften, die den Menschen aufklären, bilden, erheben und verschönern, die liebenswürdigen Künste der Musen, die Geselligkeit, das Anständige in den Sitten und eine angenehme Lebensart sind hier so unbekannt als in der Tartarey.

Christoph Martin Wieland, Briefwechsel, 1761

Es gibt kein Volk auf dem Erdboden, so von seiner Gesetzeinrichtung, und von der politischen physikalischen Eigenschaft seines Vaterlandes weniger unterrichtet ist, als die Oberschwaben. … Zur Unterdrückung geboren, erhebt sich ihr Geist, welcher durch das elend in der Unwissenheit, und durch die Unwissenheit im Elende erhalten wird, nicht von der Erde.

Wilhelm Ludwig Wekhrlin, Reise durch Ober-Deutschland, 1778

Kein Land ist zu einer affilirten Republik besser geschaffen,
als Oberschwaben. …
Sammelt euch nun einmal alle um den heiligen Altar des Vaterlandes;
Sucht bey ihm die wohltätige brüderliche Reunion zu finden,
die euch so viele entscheidende Vortheile in die Zukunft verspricht;…
lernt eine weise gesezmäßige Verfassung,
die auf das allgemeine Wohl gestützt ist, lieben; …
Und euch wird von nun an bey stillem häuslichen Leben,
ohne viel Kosten, eine bessere Regierung
und mit ihr das Glück und der aufblühende Wohlstand zu Theil werden.

Von der Nothwendigkeit eines zu versammelnden Landständischen Kongresses in Oberschwaben und dessen nüzliche Folgen, Straßburg 1798.

… indessen wiegte der See mich,
Und der Ruderer saß ruhig und lobte die Fahrt.
Weit in des Sees Ebene wars Ein freudiges Wallen
Unter den Segeln und jetzt blühet und hellet die Stadt
Dort in der Frühe sich auf, wohl her von schattigen Alpen
Kommt geleitet und ruht nun in dem Hafen das Schiff.
Warm ist das Ufer hier und freundlich offene Tale,
Schön von Pfaden erhellt, grünen und schimmern mich an.
Gärten stehen gesellt und die glänzende Knospe beginnt schon,
Alles scheint vertraut, der vorübereilende Gruß auch
Scheint von Freunden, es scheint jegliche Miene verwandt.
Freilich wohl! Das Geburtsland ists, der Boden der Heimat,
Was Du suchest, es ist nahe, begegnet dir schon.

Friedrich Hölderlin, Heimkunft, 1801

Zwar dich verläßt die Weltgeschichte,
sie hält nicht mehr am Ufersand
mit Schwert und Waage Weltgerichte,
doch stilles Gnügen wohnt am Rand.

Gustav Schwab 1827

Einen Glauben, der weiter als über die Lippen reicht, hat der Bewohner der Seegegend in der Regel nicht. Von Religion, die das Leben regelt, die den Menschen unter Hinweisung auf sein höheres Ziel überall hinleitet und führt, dürfte nur bei wenigen die Rede sein. Dagegen ist er, wie der Oberschwabe überhaupt, sehr kirchlich, sofern er darauf sieht, dass der Gottesdienst feierlich, seine Sinne unterhaltend abgehalten werde. Das Wort Gottes oder die Erbauung, die ihn hinausweist aus seinem Sinnenkreise, ist ihm Nebensache. Pulverschüsse, Prozessionen, rauschende Musik und im Alter der Rosenkranz, das sind seine Lieblingsgegenstände.

Visitationsbericht Dekanat Tettnang, 1847

Die Kräfte des Beharrens sind stärker in Staat, Kirche und sozialen Verhältnissen.
Der reflektirende, in sich gekehrte Ernst des Altwürttembergers ist weniger bemerkbar.
Er erfreut sich im Ganzen eines sorgenloseren Daseins und braucht sich weniger zu plagen, als der Unterländer.
Auch die Geselligkeit hat einen heiteren und volksthümlicheren Charakter.
Die Empfänglichkeit und Befähigung für Musik und bildende Künste scheint stärker,
der Sinn für die Regionen des abstrakten Denkens schwächer zu sein als bei den Niederschwaben.

Gustav Rümelin, Der württembergische Volkscharakter, 1863

Was den Charakter der Oberschwaben anbelangt, so zeichnet er sich durch eine gewisse Noblesse, durch aristokratische Färbung, durch derbe Offenheit, ein gewisses zähes Festhalten am Althergebrachten, durch ein sehr empfindliches Rechts- und Ehrgefühl aus. …

Michel Buck, Medicinischer Volksglauben und Volksaberglauben aus Schwaben, 1865

Der Genius Oberschwabens ist der Engel der Humanität,
und darum ist alles, was an Geist lebendig wurde,
hier humanistisch gewesen …
Hier ist Überlieferung des Römischen immer gewesen
wie ein Hauch, der durch die Fluren streicht
und die Gewächse des Landes in fruchtbringende Wärme hüllt.
Der Geist hat hier seine Würde darin gesehen,
zu heiligen, was von der Erde kommt,
es in seiner Gegenständlichkeit zu bejahen
und die Fülle seiner Kräfte zu einem Lobgesang auf die Schöpfung,
deren Mitte der Mensch ist, zu entbinden.

Karl (Carlo) Schmid, Lob Oberschwabens, 1946

Alles Gediegene nur gedeiht,
wenn der Mensch gleich recht beides ist:
bereit dem Anspruch des höchsten Himmels
und aufgehoben im Schutz der tragenden Erde. …
Das Einfache verwahrt das Rätsel des Bleibenden und des Großen. …
Im Unscheinbaren des immer Selben verbirgt es seinen Segen.
Die Weite aller gewachsenen Dinge,
die um den Feldweg verweilen, spendet Welt.
Der Verzicht gibt.
Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen.
Der Zuspruch macht heimisch in einer langen Herkunft.

Hermann Heidegger, Der Feldweg, 1949

Es ist ein seltsames, etwas unentdecktes Land da oben, ein schwerer, fruchtbarer Boden, zwischen den weiten Ackergebreiten hügelige Wälder, Moor und Ried, schwarze Seen eingestreut, ein Volk derber, einfacher Art, mit einem soliden Glauben und Aberglauben, kirchlich und fleißig. …
Das 18. Jahrhundert der Kirche lebt selbstsicherer und selbstverständlicher als sonst irgendwo. Die Augen und die Sinne spüren es heute noch als fast nahe Gegenwart. Um die Erinnerung an eine farbige, stolze und pompös fromme, breitspurige Geistigkeit sind die Grazie und Leichtigkeit frohen Weltsinns wie liebenswürdige Anekdoten aufgehängt.

Theodor Heuß, Oberschwäbisches Barock, 1959

Im Oberland ist der Raum weit. Man lebt und läßt leben. Das ist der Kern oberschwäbischer Gemütlichkeit.
Die Menschen sind stiller, sanfter, milder, weicher, weiblicher. Und dennoch kann man hier stärkere Leidenschaften, mit allen ihren Folgen, erfahren.
Noch hat sich der Geist nicht zur Gedanklichkeit verdünnt, er ruht und wirkt in Leib und Seele.
Die Mundart lebt in ungebrochener Kraft. Alles in ihr ist Anschauung.
Abstrakte Begrifflichkeit liegt dem Oberschwaben fern. Seine starke Sinnlichkeit war es, die ihn mehr im Raume der Künste zu Hause sein ließ als den Neckarschwaben.

Adolf Schahl, Kunstbrevier Oberschwaben. Stuttgart: Bonz, 1961

Die oberschwäbische Vielfalt entstand aus verwickelten politischen, religiösen und künstlerischen Einwirkungen von allen Himmelsrichtungen her, aus dem Nebeneinander, aber Mit- und Gegeneinander zwischen den kleinen Hofhaltungen der Aristokratie oder Abteien und den genossenschaftlichen Kräften der Stadtrepubliken und der Bauerngemeinden, im Gewirke von Einflüssen des helvetischen Drangs nach Freiheit, der erst politisch, dann religiös protestierte, und der hispanisierten Tradition absoluter Herrschaft. In vielen selbstgenügsamen Mittelpunkten bildeten sich eine Fülle selbständiger, aber auch manchmal unverträglicher und selbstherrlicher Individualitäten. Unter dem Kaiser in Wien und schließlich dem König in Stuttgart entstand nur eine schwache Beziehung zu den Zentralstaaten. In den alten Parzellen der dutzendweisen Vaterländer und der Mutterstädte wuchs kein übertriebenes Nationalgefühl. Die durch Jahrhunderte gültigen Einrichtungen des Heiligen Römischen Reiches trugen universale Grundzüge. Sie ließen den Geist aus den Sackgassen des Provinzialismus heraus zur Weltoffenheit gedeihen. Denken und Handeln führten zu einer geistigen Universalität. Das Gemeinbewußtsein wuchs aus jenen kleinen Gemeinschaften, die als wirklich und verläßlich empfunden wurden: Familie, Gemeinde und Landschaft in jene großen hinein, deren Wirken spürbar war: Kirche und Reich. Das Alte lebt im Neuen weiter.

Walter Münch, Tradition und Gegenwart, 1963

Das Oberland wurde ja so gerne verkauft in der Touristik als ein Land der Putten und der Moorbäder, als ein „Himmelreich des Barock, - „ein Haus voll Glorie schauet“ – als ein Dixieland für Bildungsbürger, die grasgrüne Käseküche, das Butterfaß mit den glücklichen Kühen, wo die Uhren anders gehen, natürlich hinter der Zeit her, wo Kafka-Schlösser stehen, Schützenfeste, Bürgergarden, steinerne Zeugen, Heimat und Tradition, die „gleichmäßige Landschaft“, Waldhornbläser, Waldfrieden, Burgfrieden, Waldburgfrieden, „Nachrichten aus der Provinz“ mit der Frage „Hat die Zukunft überhaupt begonnen?“, oder ist die Provinz dumm, roh, ignorant, fortschrittsfeindlich!

Walter Münch, Oberschwaben – Abbild und Wirklichkeit, 1970

Riecht das Unterland nach Schweiß, Kraut, Dieselöl und Wein, so riecht das Oberland nach Wiesenblumen, Weihrauch, Käse und Heu.

Thaddäus Troll, Preisend mit viel schönen Reden, 1972

Unsere Hügel sind harmlos.
Der See ist ein Freund.
Der Himmel glänzt vor Gunst.
Wir sind in tausend Jahren keinmal kühn.
Unsere sanften Wege führen überall hin.
Die Luft ist süß von Geschichte, von Durchdachtheit klar.
Lass doch den Schmerz.
Meistens die Lösung
das Wasser.

Martin Walser, Heimatlob, 1978

Die Menschen am See haben sich keiner Anstrengung hartnäckig verschlossen,
geben sich aber auch keiner haltlos hin.
Sie haben sich hier niedergelassen,
können aber das Ihre immer wieder loslassen.
Sie haben ein solides Land der Mitte kultiviert,
dulden aber als zentralen Ort nur das bodenlose Wasser.
Mitten im hitzigsten Erdteil eine gemäßigte Zone,
mitten im entschiedenen Wandel ein fortgesetzter Schwebezustand,
mitten im Wirbel von Natur und Geschichte
etwas menschliche Gelassenheit.

Arno Borst, Bodensee, Geschichte eines Wortes, 1978

Leichtes Einverständnis mit diesem
Stück ruhiger Landschaft. Aber wem
hilft das weiter, ein menschenloser
Augenblick, eine zur Seite gerückte
Geschichte, ein Leben ohne Angesicht
des Todes. Wie es sein kann, ist es
nicht.

Hans Georg Bulla, Notiz, Bodanrück, 1980

Einige Sekunden lang war wieder der Sommertag nah,
der See war blau gewesen.
Viel Grün gab es ringsum,
das Benediktinerkloster lag weiter entfernt,
am Rand des Berges,
und er spürte die Kühle des Kreuzgangs. …
Die Ahnung von Leichtigkeit, die ihn zuvor,
an dem verhangenen See, angerührt hatte,
öffnete sich nun ganz, plötzlich war es luftig um ihn, …
und dann sagte er doch…,
er sei glücklich gewesen.

Peter Weiss, Epitaph über Hodanns Leben, 1980

Alle Bestrebungen waren geschichtlich bisher solche,
die auf den Bestand der Provinz gerichtet blieben.
In Ruhe überleben.
Wir stehen da wie Hinterbliebene.
Das oberschwäbische Gefühl.
Wie eine Träne im Bodensee.
Aber wollen wir nicht gerade hier immer schon
mit jener unverzichtbaren Hoffnung auf Gnade getröstet werden?
Eine Seelenlandschaft ist das.
Längst noch unentdeckt.

Peter Renz, Vorläufige Beruhigung, 1982

Eingeklemmt in das System verkaufter Landschaft
auf vorgeschriebenem Weg
von Schildern belauert
hangabwärts Mauern Zäunen entlang
zum gefängnistorbreiten Uferstück der Besitzlosen
schattenlos Licht
durch Faulschlamm durch Schlick
ins soziale Klärwasser
ferne Strände vor Augen

Werner Dürrson, Ins Freie, 1984

Die Ikone Oberschwabens hat schlimme Risse bekommen.

Paul Schmid, Mein Gott, mein Oberland, 1984

jeder, der hier geboren ist, trägt diesen konflikt mit sich herum, jeder weiß, daß er in einem gebrochenen land lebt, und jeder hat das gemüt einer verletzten freiheit, diese grundstimmung läßt sich schwer artikulieren, aber sie ist da. …
das ist kein devoter menschenschlag hier. Sie wallfahren zu ihren barockkirchen, und die erinnerung an ihre geschichte ist ausgelöscht. trotzdem ist jeder gezeichnet, als sei er ein wissender. aus dem land der freien bürger und der freien bauern ist ein frommes land geworden, was soviel heißt wie ein land der fügung. der barock hat seine wirkung getan.

otl aicher, innenseiten des krieges, 1985

Neben der Freude über die Schönheit dieses Fleckchens Erde soll aber auch Trauer erlaubt sein. Trauer darüber, daß Heimat auch weh tun kann.

Maria Beig, Aus Oberschwaben. Paradies vorm Ausverkauf?, 1985

Das Salemer Tal, durchzogen von einem Flüsschen, der Aach,
Felder, Wiesen und Obstbäume,
ein paar kleine Dörfer, einzelne Gehöfte,
alles alt und im gleichen Stil.
Uralt kultivierte Landschaft, das Werk der Mönche,
die hier durch Jahrhunderte geherrscht, gelebt und gearbeitet hatten. …
Eine Landschaft verwöhnend bis zum Gefährlichen.

Golo Mann, Erinnerungen und Gedanken, 1986

Mein Winterreute mit seinen Äckern und Wäldern und den herrlichen Sonnenuntergängen war schon früh mein Ideal, das Höchste, nach dem sich meine Seele, mein ganzes Ich, sehnte.
Um den Kräften des Ewigen näher zu kommen, braucht man Ruhe und Einsamkeit, welche mir die kleine Welt meiner Heimat Winterreute in Fülle gegeben hat und noch gibt.
Dieses in die Tiefe gehen gab mir auch gleich eine unbesiegbare Liebe und Ehrfurcht zu einem Stück Acker, zu einer Schneefläche und zu der Dunkelheit der Wälder am Horizont.
Meine kleine Welt wollte ich nie erweitern. Schon Lao-Tse sagte: „Je ferner man schweift, desto weniger man begreift, und wer ohne Begehren ist, der wird das Geheimste schauen.“ Das Höchste, was es für mich heute gibt, ist Ruhe und Frieden.
Meine Arbeit soll einsam, still, tief und groß sein!

Jakob Bräckle (1897 – 1987)

Das Odium der Provinzialität und der heroische Versuch, das Gegenteil zu beweisen, gehören zur Physiognomie des geistigen Oberschwabens. …
Das Land, das ja auch liebenswerte Züge hat, scheint im Grund voll widerborstiger Unaufgeklärtheit zu stecken – und daran lässt sich vortrefflich leiden.

Wolfgang Brenneisen, Provinz ist überall, 1993

Oberschwaben ist unerschöpflich.
Mehr Himmel als anderswo,
mehr Mittelalter und mehr Barock.
Eine Gegend, in der Gestern gerade noch Gegenwart ist
und die Gegenwart nicht ins Zukunftslose wegtaumelt.
Ein Reservoir.

Werner Dürrson, Oberschwaben, 1994

Was Oberschwaben als deutsche Geschichtslandschaft kulturell hervorgebracht hat,
ist eine in Jahrhunderten befestigte Tradition
von frühen Formen des Kommunalen, des Republikanischen
und des Parlamentarischen.
In dieser Tradition wurzelt seine Humanität.

Peter Blickle, Oberschwaben, 1996

Will man auf eine kurze Formel bringen, was inhaltlich Oberschwaben ausmacht, kommt man auf vier prägende Elemente, die sich sichtbar in der Landschaft wie spürbar in der Mentalität der dort lebenden Menschen niedergeshlagen haben. Oberschwaben ist
- eine bäuerlich geprägte Landschaft,
- eine katholisch-kirchlich-barock gepägte Landschaft,
- eine Adelslandschaft,
- eine Städtelandschaft.

Hans-Georg Wehling, Oberschwaben - sanft gewelltes Hügelland, 2002

Mein Oberschwaben. Tausend Jahre. Und mehr.
Auch tausend Jahre Einsamkeit. Und Gemeinsamkeit.
Und Sehnsucht.
… gerade hier war es,
wo die Empfindung, keinen Ort auf der Welt mehr zu haben für etwas,
das Heimat genannt werden könnte,
gleichzeitig am größten
und noch am erträglichsten war.
Auch für mich.

Arnold Stadler, Tausend Jahre. Und mehr, 2006

Unsere Region ist das Herz Alemanniens, eine der Wiegen des mittelalterlichen südlichen Mitteleuropas, verlorene Gegend zwischen Drumlins, Tobeln, Höhenzügen, Föhnalpen und Wassern des Schwäbischen Meers, Grenzland, Peripherie, vergessener Traum, schemenhafte Utopie einer Völkerverbindung, eines Völkerübergangs, einer kulturellen Verzahnung, auseinandergeschnitten, provinzialisiert, neu zusammengeklebt, zersiedelt und von andernorts geplanten Verkehrsachsen durchschnitten, von Touristen beschneit und heimgesucht von Busausflüglern, die den Süden suchen und hierherum von solchen, die es in den Norden verschlägt, an die Grenze zum Reich, Vorort des Unsäglichen, des schlechtenKaffees, der Pappbecher und Schwaben. …
Derart reiht sich unsere Gegend, unsere Region, unser Landstrich, der sich kartografisch, historisch und politisch nur schwer verorten lässt, vielmehr eine Idee ist, ein Licht vielleicht, eine Atmosphäre oder Seelenlandschaft, ein in das Schicksal anderer historischer Räume, die, ich denke an Triest und Friaul oder das Elsass, ebenfalls wie Wolken schweben und ohne Vertäuung in den Köpfen, aber auch im jeweils anderen, Fremden nichts sind. Die, wie die unsere, ihre vermeintliche Seele zur Schau stellen, um eine Oberfläche, eine Außenansicht statt ihrer selbst zu bewahren, die sie zu anderen Zeiten besessen haben.

Jochen Kelter, Vom allmählichen Verschwinden der Gegend, 2012

Sich als Oberschwabe, als Alemanne zu verstehen, ohne diese schöne Landschaft und ihre Geschichte fraglos gutzuheißen, wurde zum Programm: Liebende Kritik statt bloßer Affirmation. Eine neue, skeptische Zuwendung sollte dem Wunsch nach aufgeklärter Identifikation mit dem Hiesigen Ausdruck verleihen. Kritische Distanz kann sich aber nur leisten, wer den mühevollen Weg auf sich nimmt, den historischen Spuren ihrer Entstehung nachzugehen.

Peter Renz, Vertraute Gegend, 2015

Schwabe zu sein, ist eine Gabe,
Oberschwabe zu sein, eine Gnade.

Landrat a. D. Guntram Blaser

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